Wöhlers Laboratorium 1860

Museum der
Göttinger Chemie

Universität Göttingen
Fakultät für Chemie

Museumsbrief Nr 19 - Teil 3

Wöhlers Glosse über die Substitution 1840 in seinem Privatbrief an Berzelius.

Übertragung aus dem Französischen

Nach dem Buchtitel von Edv. Hjelt: Berzelius – Liebig – Dumas. Ihre Stellung zur Radikaltheorie 1832-1840, Ferd. Enke Stuttagart 1908) könnte man annehmen, daß im Ringen der Chemikergrößen um die „richtige“ Theorie der Organischen Chemie Wöhler keine Rolle gespielt hätte. Es handelte sich um einen wichtigen Paradigmenwechsel von der von Bezeliusschen geprägten elektrochemischen Radikaltheorie zur neueren Substitutionstheorie, die vor allem duch Dumas vertreten wurde. Nach der früheren Radikaltheorie faßte man organische „Körper“ als Oxide auf und es war nicht vereinbar daß in diesen Körpern eine größere Anzahl von elektropositivem Wasserstoff durch das elektronegative Chlor ersetzt werden konnte.

Als Dumas, der zeitweise Mitarbeiter in den von Liebig und Wöhler herausgegebenen Annalen der Pharmacie (später Annalen der Chemie und Pharmmacie) war, im Jahre 1939 in mehreren Artikeln seine neue Substitutionstheorie selbst in großen Worten, nämlich daß (auf dieser Theorie) „zum großen Theil die Zukunft der organischen Chemie beruht“ beschreibt, lehnt Berzelius diese schroff ab: „diese Darstellung enthält unbedingt den Umsturz des ganzen chemischen Lehrgebäudes so wie es jetzt ist“. Da kochte dem immer bescheiden auftretenden Wöhler wohl das Blut und er schrieb am Schluß eines Briefes an Berzelius eine ätzende Glosse in französischer Sprache über die phantastischen Folgen der Substitution.         

Diese Glosse will ich in deutscher Übertragung vorstellen. Die Geschichte geht aber noch weiter. Weil diese Passagen Berzelius so gut gefallen hatten, schreibt Wöhler eine fast identische seinem Freund Liebig, der ohne Wöhler zu fragen diese – vielleicht mit kleinen Änderungen – als Originalmitteilung im Band XXXIII S. 308-310. „Ueber das Substitutionsgesetz und die Theorie der Typen“ Von S. C. H. Windler [=Schwindler] in französicher Sprache. So steht der Name „Windler“ auch im Autorenverzeichnis der Annalen.

Abb. 6. Porzellanmalerei auf einem Pfeifenkopf: Chemisches Institut mit Chemischem Labor, davor Student mit Cerevis des Corps Hannovera. Philipp Petri Werkstadt. Göttingen Städtisches Museum. S. auch Katalog: Jens-Uwe Brinkmann, Porzellanmalerei in Göttingen, Städtisches Museum Göttingen, 2000. S. 70. Aus dem Besitz des Oberbürgermeisters Georg  Merkel (Schwiegersohn von F. Wöhler)

Diese Geschichte ist nicht neu, doch mir scheint, heute wo man vielfach nicht mehr französisch spricht, lohnt sich eine Übersetzung der privat für Berzelius bestimmten Passagen.

Eine englische Übersetzung des für die Veröffentlichung nicht autorisierten Beitrags an Liebig – von diesem in den Annalen publiziert- findet sich bei Ralph El Oesper, The Human Side of Scientists”, Ralph E.Oesper, University Publications University of Cincinaty, Cincinnati OH, 1975. S. 201-202. S. C. H. Windler, ”On the Substitution Law and the Theory of Types”.

Es folgen einige Zitate aus den der Wöhlerschen Glosse vorangegangenen Aufsätze von Dumas über die neue Substitutionmstheorie in den Annalen der Pharmacie, herausgegeben unter Mitwirkung der HH. [=Herren] Dumas in Paris u. Graham in London von Friedrich Wöhler und Justus Liebig, Heidelberg Academische Verlagsbuchhandlung von C. F. Winter

Band XXXII.,1839:

Seite 101ff J. Dumas, ”Über die Chloressigsäure, die Constitution einiger organischer Körper und über die Substitutionstheorie”; .. Seite 104        
Der Einwurf von Berzelius ist indessen eigentlich nicht hiergegen gerichtet. Was er nicht zugestehen will, ist, daß der Wasserstoff durch Chlor, Brom oder Sauerstoff ersetzt werden, daß ein durch sein elektropositives Verhalten so ausgezeichneter Körper, wie der Wasserstoff, durch die elektronegativsten Körper, die wir kennen, vertreten werden könne.”

Seite 104...... Die Entstehung der merkwürdigen Säure, womit ich die Academie unterhalten will, gehört ganz hierher. Es ist eine organische Säure, Essigsäure, in welcher es mir gelungen ist, allen Wasserstoff, welchen sie enthielt, durch Chlor zu ersetzen. ... Ich hoffe, daß die aufmerksame Prüfung der hier vorzulegenden Thatsachen alle Zweifel heben wird, welche die hohe Autorität von Berzelius bei den Chemikern hervorgerufen haben könnte; wenn ich sage, daß ich es hoffe, so geschieht dieß in der festen Ueberzeugung, daß auf dem Studium der metaleptischen Erscheinungen [= Substitutionsreaktionen] zum großen Theil die Zukunft der organischen Chemie beruht, und nicht weil ich mich von dem Verlangen hinreißen lasse, meine Ansichten triumphiren zu sehen.

(Seite 110: Das Resultat war das ”Essigsäurehydrat”, ”worin der Wasserstoff durch Chlor ersetzt ist, nämlich C4Cl6O3, H2O”.)...         
Vorangegangen war im XXXI. Band der Annalen der Pharmacie eine Aufsatz von Berzelius S. 113: Ueber die Substitutionstheorie”. ... Bezieht sich auf die auf der Sitzung der Pariser Akademie der Wissenschaften am 22. April gehaltenen Vorlesung von Dumas über die Chloressigsäure... Berzelius: Diese Darstellung enthält unbedingt den Umsturz des ganzen chemischen Lehrgebäudes so wie es jetzt ist, und diese Revolution gründet sich auf die Zersetzung des Essigsäure durch Chlorgas unter dem Einfluß des Sonnenlichts.

Bd. XXXIII. S. 259: J. Dumas, Ueber das Gesetz der Substitutionstheorie und die Theorie der Typen.

Bd. XXXIII. S. 301. Bemerkungen zur vorstehenden Abhandlung. Von J. Liebig.

Bd. XXIII. S. 301. Ueber das Substitutionsgesetz des Hrn. Dumas von J. Pelouze.

und dann S. C. H. Windler Seite 308. Briefliche Mitteilung an J.[ustus] L.[iebig]

eine Fußnote: ”je viens d’apprendre qu’il y a déjá dans les magasins à Londre des étoffes en chlorure filé, très recherchés dans les hospitaux et préférés a tout autres pour bonnet de nuits, caleçons etc.” (übersetzt: ich habe gerade erfahren, daß man schon in den großen Londoner Kaufhäusern Stoffe aus gesponnenem Chlor erhält. Sie werden vor allem von Hospitälern gerne für Nachtmützen und Unterhosen verwendet.)

WÖHLER an BERZELIUS 1840

(Briefwechsel Berzelius-Wöhler, Wöhler an Berzelius, Göttingen 10. Febr. 1840)

Das chemische Getreibe und Geschwätze der Franzosen, das ewige Lied von den Substitutionen, wird einem ganz zum Ekel. Und wieviel wird von ihren Angaben gelogen, bloß errathen, bloß vermuthet und doch als Thatsache hingestellt. (soweit schreibt Wöhler in Deutsch, dann folgt Französisch:)

Ich habe eine der bedeutendsten Entdeckungen in der organischen Chemie gemacht.

Ich habe die Theorie der Substitutionen auf eine außergewöhnlich bemerkenswerte und vollkommen unerwartete Weise bewiesen.

Erst in diesen Tagen kann man den wahren Gehalt dieser verfeinerten und glorreichen Theorie erfassen.

Vernehmen Sie hier diese unerhörte Tatsache die ohne Beispiel in der Geschichte der Chemie dasteht.

Ich habe unter Bestrahlung mit direktem Sonnenlicht Chlor durch eine Lösung von Cupferacetat strömen lassen.

Nach 24 Stunden fand ich eine superbe Krystallisation eines grün-bläulichen Salzes.

Dasselbe Salz befand sich auch in Lösung. Dieses Salz habe ich analysiert und fand, dass es das Cupfersalz des Chloracetats von Monsieur Dumas war.

Das war bis hierher nichts außergewöhnliches, nämlich die einfache Substitution des CuO + C4H6O3 in CuO + C4Cl6O3, das schon aus den schönen Untersuchungen unseres illustren Collegen bekannt ist.

Dann habe ich dieses Salz in einem trockenen Chlorstrom erhitzt.- Unter Sauerstoffentwickelung wurde das Salz in eine gelbliche Masse verwandelt. Die Analyse dieser Masse ergab die Zusammensetzung CuCl2 + C4Cl6O3, nämlich eine Substitution des Sauerstoffs im Oxyd des Cupfers [das als das postive Radikal aufgefaßt wird] durch das Chlor.

Dieses neue Salz ist in Methylenbihydrat löslich. In einer solchen Lösung von neuem mit einem Chlorstrom während 8 Tagen behandelt, schied sich eine schöne Krystallisation, gebildet aus kleinen hexagonalen Prismen, von einer wunderbar goldgelben Farbe ab.

Das war C4Cl10O3, das war sozusagen Cupferacetat, in dem der ganze Wasserstoff und das Cupferoxyd[radikal] durch Chlor substituiert ist, es war nämlich Cl2Cl2 + C4Cl6O3 .

Nun, 6 Atome Chlor waren in der Säure [im negativen Säureradikal] und die anderen 4 repräsentierten das Kupferoxyd[radikal].

Aber dies war nun noch nicht das Ende dieser bemerkenswerten Serie von Substitutionen.

Indem man von neuem Chlorgas während 14 Tagen über eine Lösung dieses letzteren Salzes einwirken läßt, entbindet sich Kohlensäure und beim Abkühlen der Lösung bei 2° scheidet sich eine gelbliche Masse von kleinen Blättchen ab, die absolut Chlorhydrat waren.

Die Masse enthielt nur Chlor und Wasser.

Aus der Bestimmung der Dampfdichte fand ich, dass sie aus 24 Atomen Chlor und 1 Atom Wasser bestand.

Nun, das war die vollkommenste Substitution von der Welt, das war hydratisiertes Cupferacetat, in dem alle Elemente des Salzes durch Chlor substituiert sind, das war nämlich nämlich Cl2Cl2 + Cl8Cl6Cl6 + H2O.- Doch genug des dummen Zeuges. Mein Papier geht zu Ende.

 


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