Wöhlers Laboratorium 1860

Museum der
Göttinger Chemie

Universität Göttingen
Fakultät für Chemie

Museumsbrief Nr 19 - Teil 2

2. Deutsche Chemikerfreunde helfen mit einer postalischen Extravaganz dem Ehepaar Professor Henri Etienne Sainte-Claire Deville während der Belagerung von Paris im Kriegswinter 1870/1871.

Wie im Briefwechsel dokumentiert, tauschten sich die Freunde Liebig-Wöhler im Herbst 1870 beginnend mehrfach über die Kriegsreignisse im Deutsch-Französichen Krieg aus.

Erst vor kurzem wurde von Herrn Dr. Helmut Rohlfing, dem Leiter der Abteilung Handschriften und Seltene Drucke der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen bei einer Auktion des Hauses Stargard ein neuer Wöhler Autograph erworben, nämlich ein Brief, ”Friedrich Wöhler an eine Unbekannte Göttingen 26. Dec. 1870”. In Kenntnis der Zusammenhänge aus dem Liebig-Wöhler-Briefwechsel konnte ich unschwer als als Adressatin Madame Cécile Sainte-Claire Deville, die Gattin des Chemikers Prof. Henri Étienne Sainte-Claire Deville identifizieren.

Abb.3. Portrait von Prof. Henri E. Sainte-Claire Deville (Vorlage von M. Claude Sainte-Claire Deville). Manuskript von Henri E. Sainte-Claire Deville für den Aufsatz: „Du bore“, Mémoire par M.M. Wöhler et H. Sainte-Claire Deville, Comptes Rendus hebdomadaire des Séances de l’Académie des Sciences. Séance du lundi 8 Décembre 1856. Page 1088-1092. Museum der Göttinger Chemie, Geschenk von W. Lewicki.

Zwischen den Nationen, man denke an den bösen Begriff der “Erbfeindschaft”, gab es nicht nur Konfrontation, sondern was die Staatsbürger betrifft, natürlich auch persönliche Freundschaften über die Staatsgrenzen und Kriegsereignisse hinweg. So waren Friedrich Wöhler (1800-1882) und Henri Etienne Sainte-Claire Deville (1818-1881) durch gemeinsam durchgeführte Arbeiten, zum Teil in Göttingen vorgenommen, über das kristallisierte Bor, über Bornitrid und Titannitrid und durch verschiedene Treffen u.a. bei der Versammlung der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft befreundet. Wöhler schreibt im Mai 1854 an Liebig ”mit Deville stehe ich in freundschaftlichstem Verkehr”. Deville ist einer der bedeutendsten französischen Chemiker des 19. Jahrhunderts. Seine wichtigsten Arbeiten betreffen die Dissoziation, die Chemie des Bors, des Platins und die Technologie des Aluminiums. Deville schätze auch Wöhler sehr, im ersten Kapitel seines Buches „De l’Aluminium sés propriétés sa fabrication et ses applications, Paris 1859“ S. 3 nennt er Wöhler „l’illustre successeur de Berzelius en Allemagne“ „den berühmten Nachfolger von Berzelius in Deutschland“ (Wie mag man diese Worte interpretieren?).

Im Familienbesitz des Ur-ur-Enkels von Henri Sainte-Claire Deville, Herrn Claude Sainte-Claire Deville  - übrigens als langjähriger Stadtrat von Surèsnes über die seit vielen Jahren existierende Partnerschaft von Surèsnes mit dem Landkreis Göttingen sehr verbunden – befinden sich vier andere Briefe Wöhlers zum beschriebenen Anlaß an die Gattin von Prof. Deville, Madame Cécile Sainte Claire Deville geb. Girod de L’Ain (* 5.V.1821 - † 21.I.1919). Von diesen vier Briefen erhielten wir vor einigen Jahren über unser Mitglied Dr. Emil Heuser (†) die maschinenschriftliche Übertragung (französich wie die Originale), die ihm seinerzeit von Herrn Deville zur Verfügung gestellt worden war. Kürzlich hat das Museum von Herrn Claude Sainte-Claire Deville auch Kopien von den Originalhandschriften erhalten.      
Von Herrn Claude Sainte-Claire Deville wissen wir, daß sein ur-ur-Großvater während des Einschlusses von Paris durch deutsche Truppen an seine durch diese Umstände von ihm getrennte Frau Cécile mit der neuen bemannten Ballonpost 98 Briefe geschicht hat. Nur 20 davon sind nicht angekommen. Frau Deville befand sich damals zu Besuch auf dem elterlichen Gut in Chévry bei Gex in Département de l’Ain nahe beim Genfersee.Deville selbst mußte lange im Ungewissen über das Schicksal seiner Frau bleiben, denn von außen könnte keine Post nach Paris gelangen.

Am 16. November 1870 riet Professor Deville per Ballon-Post seiner Frau sich an Prof. A. W. Hofmann (von der Akademie der Wissenschaften zu Berlin) und an seinen Freund Professor Wöhler in Göttingen zu wenden, damit dieser irgendwie erreichen könnte, daß Nachrichten von Frau Deville zu ihm in das eingeschlossene Paris gelangen könnten.

Madame Sainte-Claire Deville erhielt diesen Brief von ihrem Mann am 28. 11.1870 und schrieb daraufhin am 30.11.1870 an Wöhler (freundliche Mitteilung von M. Claude Sante-Claire Deville). Tatsächlich gelang dann diese postalisch extravagante Briefübermitlung mit Hilfe eines Parlamentärs aus dem Stab von General von Moltke in Versailles.

Der Postweg läßt sich nachzeichnen von Chévry bei Genf (Madame Deville) – Göttingen (Wöhler) – München (Liebig) – Leipzig/Versailles (Liebig-Schwiegersohn Thiersch) – Versailles (Prinz Georg von Sachsen vermittelte an Prinz Albert von Sachsen, 1. Parlamentär) – Paris (2. Parlamentär, Monsieur Sainte-Claire Deville).

Im Brief der SUB Göttingen teilt Wöhler Madame Deville mit, daß über den ”Canal de Wöhler” nun ihrem Mann ihr Brief übergeben werden konnte. Dieser Göttinger Brief, den Madame Deville wohl nie empfangen hatte, ist in der Reihe der insgesamt fünf überlieferten Briefe nach der zeitlichen Folge der vierte. Der Vollständigkeit halber will ich alle fünf Briefe, die Wöhler in einwandfreiem Französisch geschrieben hat, in der deutschen Übertragung vorstellen.

Mein Dank für die Erlaubnis der Publikation gilt Herrn Claude Sainte-Claire Deville in Suresnes und Herrn Bibliotheksdirektor Dr. Helmut Rohlfing Göttingen.

Kommen wir noch einmal auf die Zitate in der gedruckten Ausgabe der Korrespondenz Liebig-Wöhler zurück (Wöhler und Liebig Briefe von 1829-1873 aus Justus Liebig’s und Friedrich Wöhler’s Briefwechsel in den Jahren 1829-1873. ungekürzte Neuausgabe Bd. 1 und 2 im Sammelband hrsg. von Wilhelm Lewicki. Göttingen: Jürgen Cromm Verlag 1982.

Einige Auszüge aus dem 2. Band illustrieren das rege Interesse an diesen kriegerischen Ereignissen und auch die Sorge und die Bemühungen um die französischen Freunde. Daneben fallen aber auch harsche Äußerungen über die Nation der Franzosen, wie sie damals gang und gäbe waren. Auch in Frankreich war man mit chauvinistischen Sprüchen über die Deutschen nicht zimperlich. Gedanken an Deutsch-Französische Aussöhnung oder gar Freundschaft waren noch in weiter Ferne. Umso bedeutender war die persönliche Freundschaft zwischen den Personen, hier also konkret zwischen Friedrich Wöhler dem Deutschen und dem Franzosen Henri Etienne Sainte-Claire Deville.

S. 292 Wöhler an Liebig am 16.Juli 1870: Der Krieg ist erklärt. Wöhlers Meinung zur Kriegserklärung durch Frankreich. Viele Studenten lassen sich als Soldaten aufnehmen.

S. 293 Wöhler an Liebig am 27.07.1870: Reisebehinderungen

S. 295 Wöhler an Liebig am 14. August 1870: Wie staunenswerth ist doch die großartige, so wunderbar organisirte Kreigsbereitschaft von Preußen!

S. 295 Liebig an Wöhler August 1870: Pasteur besuchte mich vor dem Kriege; er sprach mit solcher Verachtung von dem Könige von Preußen und dessen Anmaßung, auf die Forderungen Napoleon’s hin nicht zu Kreuze gekrochen zu sein [Emser Depesche], daß ich wahrhaft empört war.

S. 297 Wöhler an Liebig am  02.09.1870: Wegen der Siege über Mac Mahon und Bezaine wurden alle Häuser mit Fahnen geschmückt, und heute Abend wird die Stadt illuminirt werden. ... Ein Krieg wie dieser, so grausam durch die neuerfundenen Mordapparate, ist noch nie dagewesen.... [Die Wöhlertöchter Helene und Emilie] sind die ganzen Tage über in den hiesigen Hülfsvereinen oder in einem der Lazarethe beschäftigt, obgleich viele Typhus-Kranke darin sind.

S. 300 Liebig an Wöhler am 30.09.1870: Wir sind in Enthusiasmus über die Capitulation von Metz. Es ist, wie Du gelesen haben wirst, unserem Freunde REGNAULT gelungen, die kostbare Sammlung in Sèvres [Die Porzellansammlung? oder die Gußmodelle?] mit Hülfe der deutschen Armee zu retten....Wie mag es unseren Freunden in Paris DUMAS, PELIGOT, BOUSSIGNAULT etc. ergehen?

S. 302 Wöhler an Liebig am 3.11.1870: Es war eine gute Idee von Dir, dem THIERSCH REGNAULT zu empfehlen. Könnte man nur für die anderen Freunde dort, DEVILLE, BROGNIART, DUMAS, die gewiß nicht vom allgemeinen Wahnsinn angesteckt sind, etwas thun, aber es ist unmöglich. Ein schrecklicher Gedanke, daß für die armen Soldaten der Winter bevorsteht.

S. 304 Liebig an Wöhler am 7.12.1870: Den Brief der Madame DEVILLE, den Du mir zur Beförderung nach Paris an ihren Mann geschickt hast, ist wahrscheinlich in dessen Hände gelangt, denn THIERSCH, der im Hauptquartier ist, hat ihn einem Parlamentär mitgegeben, der nach Paris geschickt wurde. In ähnlich verzweifelter Lage ist mein Freund BARRESWIL [Louis Charles, Prof. Chem. in Paris], der von seiner Frau und Tochter getrennt ist; er in Tours und sie in Boulogne.

S. 305 Wöhler an Liebig am 15.12.1870: Ich schicke Dir anbei einen Brief von Madame Deville (sie ist in der Nähe von Genf)... Auch Madame DEBRAY hat sich unterdessen mit demselben Anliegen an mich gewandt. Sie ist in Tréport, er in Paris. Ich habe nun noch einen anderen Weg versucht, der letzteren Brief an ihren Mann gelangen zu lassen, nämlich durch einen höheren Officier im Generalstab von MOLTKE. ... Die Pariser Luftballonpost scheint ganz regelmäßig organisirt zu sein, und ist in der That ein kühnes Unternehmen. Es ist ein schauerlicher Gedanke, daß ein solcher Ballon unterwegs von der Kugel einer Krupp’schen Kanone durchbohrt werden sollte.

Abb. 4. Prof. Henri Étienne Sainte-Claire Deville mit seiner Frau Cécile. Die Vorlagen: M. Claude Sainte-Claire Deville.

S 306 Liebig an Wöhler im Januar 1871: Ich bin leider nicht mehr in der Lage einen Brief an DEVILLE zu besorgen, da THIERSCH nicht mehr im Hauptquartier, sondern seit acht Tagen glücklich wieder in Leipzig ist.

S. 307 Wöhler an Liebig im Januar 1871: Madame DEVILLE schreibt mir ganz glücklich aus Gex daß grâce à M. THIERSCH, ihr Brief richtig in ihres Mannes Hände gelangt ist.
Mon mari en a éprouvé [hat erfahren] un bonheur [Glück] indicible [unaussprechlich]. Keiner ihrer anderen, auf anderen Wegen geschickten Briefe ist bei DEVILLE angelangt.

S. 308 Wöhler an Liebig am 17.02.1871: Der zweite Brief der Frau DEVILLE an ihren Mann, der durch das Hauptquartier von MOLTKE geschickt wurde, ist nicht angekommen, so wenig wie der der Frau DEBRAY.

S. 314 Wöhler an Liebig am 27.06.1871: Heimkehrende Truppen. Nachdenkliches über den Krieg.


DIE BRIEFE WÖHLERS AN MADAME DEVILLE

(Brief Nr. 1) Göttingen 4 Dec 1870 

Madame

Seit Paris belagert ist, denke ich jeden Tag an meinen Freund, Ihren Gatten, und ich hatte immer die Hoffnung, dass er so glücklich gewesen wäre, noch vor dem Siege zu entkommen. Unglücklicherweise hat mir Ihr Brief, den ich gerade erhalten habe das Gegentheil erkennen lassen.

Ich bedaure es unendlich dass ich Niemanden im Hauptquartier zu Versailles kenne, durch den ich Ihren Brief Ihrem Gatten zukommen lassen könnte.

Indessen habe ich ihn sofort Herrn Baron LIEBIG in München geschickt, dessen Schwiegersohn Herr THIERSCH Chefchirurg in Versailles oder St. Cloud ist und von dem ich weiss, dass er über Intervention von Herrn LIEBIG in Verbindung mit Monsieur REGNAULT, Mitglied des Institut [de France] und Direktor in Sèvres [der Porzellanfabrik] getreten ist.

Ich habe Herrn LIEBIG gebeten, Ihren Brief Herrn THIERSCH zu schicken, der vielleicht einen Weg finden wird um ihn Ihrem Herrn Gemahl zukommen zu lassen.

Sollte Herr LIEBIG die Auskunft erhalten, dass dies nicht möglich ist, wird er mir Ihren Brief wieder zurückschicken, dann werde ich diesen an Frau MITSCHERLICH nach Berlin schicken, deren Sohn [Alexander ?] Professor der Chemie, gegenwärtig als Offizier der preussischen Armee nahe bei oder in Versailles ist. (Ich selbst kenne seine Adresse nicht). Oder - es gelingt mir einen anderen Weg zu finden. Dessen ist es sehr wahrscheinlich, dass wir inzwischen den Frieden haben werden und dass mein so lieber Freund in Ihre Arme fliegen konnte.

Wollen Sie, Madame die Versicherung meiner ehrfurchtsvollen Hochachtung entgegennehmen.

Wöhler

(Brief Nr. 2) Göttingen 8 Dec. 1870
Madame,
ich hoffe, Sie haben meinen Brief vom 4ten erhalten. In diesem Moment habe ich die Antwort von Herrn LIEBIG erhalten. Er hat Ihren Brief sofort seiner Tochter Frau THIERSCH in Leipzig geschickt, welche die genaue Anschrift ihres Mannes Herrn THIERSCH, Chefchirurg im Hauptquartier zu Versailles, besitzt. Dieser wird zweifelsohne alle Anstrengungen unternehmen, um Ihren Brief meinem armen Freund in Paris zukommen zu lassen. - Nun, das ist alles was ich bis jetzt tun konnte. Hier bei uns ist Niemand, der in Verbindung mit Versailles wäre.

Wenn Sie, Madame, in diesem Moment in Nöten wegen Ihres Unterhalts sind, möchten Sie es mir nur ganz offen mittheilen. Es wird mir ein Vergnügen sein eine beliebige Summe, die Sie mir benennen möchten vorzuschiessen.

Ihr sehr ergebener Wöhler    
P.S.
Als ich gerade den Brief geschlossen hatte, habe ich entdeckt dass einer meiner Verwandten ([Bekannten] Offizier im Gefolge General MOLTKEs in Versailles ist. Sofort habe ich Ihrem Mann einige Zeilen geschreiben, um ihm mitzuteilen, dass Sie sich wohl befinden, dass Sie in Chevry sind und dass ein Brief von Ihnen an Herrn THIERSCH in Versailles geschickt worden ist, der sein Möglichstes thun wird, um ihn nach Paris bringen zu lassen. -

Mein Brief an Ihren Mann wird noch heute an das Hauptquartier in Versailles gesand, begleitet mit einigen Zeilen sehr dringender Empfehlungen durch meinen Kollegen an seinen Verwandten den Offizier.

(Brief Nr. 3) Göttingen 17. Dec. 1870         
Madame
Ich habe die Ehre gehabt Ihren freundlichen Brief zu empfangen. Im gleichen Moment habe ich den Brief von Herrn LIEBIG mit der Antwort von Herrn THIERSCH erhalten.

Hier gebe ich die Uebersetzung dessen was er enthält:       
Le vert galant, 11 Dec. 1870
Hauptquartier des XII. Corps der Armee     


Abb. 5. Deutsch Französicher Krieg: „Parlamentäre im Feuer“ aus W. Hofinger, Die älteste Luftpost der Welt. Historische Studien nach Originaldokumenten der Pariser Ballonpost 1870/71, Kempen 1957, S.80.
So könnte die Übergabe der Briefe von Madam Deville erfolgt sein.

Der Prinz GEORG (von Sachsen...) hat heute den Brief der Madame DEVILLE an seinen Bruder den Königlichen Prinz [Albert] von Sachen geschickt, der zu Margarcy das Kommando über die IV. Armee innehat. Von dort muss der Brief mit dem nächsten abgehenden Parlamentär nach Paris gesandt werden. Niemand wüßte ein vortheilhafteres Vorgehen zu empfehlen.

Nun können Sie hoffen, dass Ihr Brief in die Hände von DEVILLE geraten wird.- Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, ob ich Ihnen gesagt hatte, dass ich selbst Herrn DEVILLE geschrieben hatte und dass ich diesen Brief (natürlich offen) durch einen meiner Kollegen an einen Verwandten von ihm, der ein höherer Offizier im Stab des Generals MOLTKE in Versailles ist, geschickt hatte. Wenn mein Brief über diesen Weg ankommt, erfährt Herr DEVILLE wenigstens, dass Sie sich wohl befinden. Ich weiss nicht mehr, ob ich Ihnen gesagt habe, dass ich einen Brief der Madame DEBRAY an ihren Gatten erhalten hatte, den ich mit der gleichen Gelegenheit expedirt habe.

Ihr Mann ist in Paris, sie ist in Tréport und in der gleichen peinlichen Situation wie Sie.

Aus der Zeitung habe ich erfahren, dass Herr Paul THÉNARD als Gefangener in Bremen festgesetzt ist, als Vergeltung für die Gefangennahme deutscher Schiffskapitäne.

Nehmen Sie, Madame meinen Ausdruck meiner vollkommenen Hochachtung

Ihr sehr ergebener Wöhler

(Brief Nr. 4 SUB Göttingen. HSD Acc. Mss. 1993.6/8) Göttingen 26. Dec. 1870

Madame,

Ich beeile mich, Ihnen zusagen, dass es Herrn THIERSCH gelungen ist, Ihren Brief an Herrn DEVILLE in Paris gelangen zu lassen. Er ist durch einen Parlamentär des Prinzen von SACHSEN expedirt worden. Diese Neuigkeit hat Herr THIERSCH Herrn LIEBIG mitgetheilt. Ich hoffe nun, dass inzwischen auch Sie selbst Neuigkeiten von Ihrem Gatten empfangen haben und er seinerseits den Empfang Ihres Briefes bekannt gegeben hat. Ich wäre glücklich dies zu erfahren.

Was den Brief an Madame DEBRAY an Ihren Mann und mein Billet an meinen Freund DEVILLE - von dem ich Ihnen in meinem Brief vom 17ten [December 1780] geschrieben habe, habe ich keine Neuigkeiten, ob sie über diesen anderen Postweg nach Paris gelangt sind.

Herr LIEBIG hat mir geschrieben, dass Herr BARRESVIL verstorben ist. Ich weiss nicht, ob Ihnen dies schon bekannt ist.

Wann endet er - dieser unglückliche Krieg, der gegenwärtig widerlich grausam ist.

Madame,
Ihr sehr ergebener Wöhler.

(Brief Nr. 5) Göttingen 3. Februar 1871

Madame

Ich beeile mich, Ihren Brief vom 29. Januar, den ich gerade erhalten habe, zu beantworten.

Obwohl meine Antwort für Sie nicht mehr von Interesse sein wird. Ich hoffe dass Sie seit der Waffenruhe von Monsieur DEVILLE Neuigkeiten auf dem gewöhnlichen Postwege erhalten haben und es Ihnen selbst auch möglich gewesen ist einen Brief direkt an ihn gehen zu lassen. - Oder Sie waren so glücklich Ihren Mann bei Ihnen in Chevry in den Armen zu halten.

Welche glückliche Neuigkeit wäre das auch für mich, wenn ich erführe, dass er Paris sicher und gesund verlassen hätte können.

Seit einigen Tagen ist es erlaubt offene Briefe von uns (aus Deutschland) mit der gewöhnlichen Post nach Paris zu schicken.

- Was Ihren letzten Brief betrifft, den ich Herrn LIEBIG geschickt hatte, hat dieser mir wieder zurückgeschickt mit der Mittheilung, dass Herr THIERSCH sich seit den ersten Januartagen auf dem Rückwege nach Leipzig befände und dass er keine andere Möglichkeit hätte, den Brief Ihrem Herrn Gemahl zukommen zu lassen. Ich habe ihn dann durch meinen Kollegen Herrn DRECHSLER an seinen Schwager im Hauptquartier nach Versailles senden lassen.

Aber nach dem was Sie mir sagten, ist er nicht in die Hände von Monsieur DEVILLE gelangt, ebensowenig wie derjenige von Madame DEBRAY an ihren Gatten, der auf dem gleichen Wege versandt wurde.

Es ist unnöthig zu sagen, dass alle Welt auch bei uns glücklich ist endlich in Erwartung des Endes dieses grausamen Krieges zu sein.

Nicht weniger als sechs junge Menschwen, die in letzter Zeit in meinem Laboratorium gearbeitet haben, haben bei den Kämpfen den Tod gefunden.

Von ganzem Herzen tausend Grüsse an Ihren Herrn Gemahl, wenn er schon bei Ihnen ist.

Nehmen Sie die Versicherung meiner vollkommendsten Hochachtung

Ihr ergebener Wöhler.

Zum Abschluß des Kapitels Wöhlerbriefe an Madame Deville weise ich auf drei Literaturbeispiele hin: Elisabeth Christine Vaupel, ”Zur Frühgeschichte des Aluminiums: Friedrich Wöhlers (1800-1882) und Henri-Sainte-Claire Devilles (1818-1881) Leistungen im Lichte neuer brieflicher und gegenständlicher Quellen”; In: Deutsches Museum Wissenschaftliches Jahrbuch 1992/93, S. 231-281.    
[Heinrich] Stephan, Weltpost und Luftschifffahrt. Ein Vortrag im wissenschaftlichen Verein zu Berlin gehalten. Berlin: Verlag von Julius Springer 1874. Hier Seite 51: Die erste Fahrt über die Deutschen Linien hinweg machte Tissandier am 30. September 1870, also acht Tage nach der Einschließung. ... Da liegen vor meinen Augen an die 30.000 Briefe aus Paris. 30.000 Familien werden dem Ballon danken, der ihnen, hoch über Wolken hinweg, Kunde von den Belagerten gebracht hat! Welche Freudenthränen bergen diee Briefbündel! Welche Romane, welche Tragödien mag die grobe Hülle des Postsacks umschließen”.  
Wilhelm Hofinger, Die älteste Luftpost der Welt. Erlebnisberichte aus einer belagerten Weltstadt. Historische Studie nach Originaldokumeten der Pariser Ballonpost 1870/71. Thomas-Verlag, Kempen-Niederrhein.1957.

 


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